Sie haben oder hatten alle etwas gemeinsam: Sie wuchsen in unbestimmten und unsicheren Zeiten auf. Ich spreche hier von: Geboren nach 1900 in den deutschsprachigen Ländern, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nicht, dass dies das erste Mal in unserer Geschichte geschah. Nein, aber es sind die Generationen, die ich (und vielleicht auch Du) noch gekannt habe. Es sind «Zeitzeugen»
und für mich die wertvollsten Ressourcen, wenn es um die Wahrheit geht. Aber – was ist Wahrheit wirklich? Mit der Wahrheit ist es so, wie mit der Schönheit. Das eine liegt jedoch im Verständnis und der Akzeptanz des Betrachters, das andere in den Augen des Betrachters. Darum, wenn ich hier von «Wahrheit» spreche, so ist es meine Wahrheit basierend auf meinen Recherchen und auf meinen Erfahrungen in meinem Leben.
Wir wären nicht Menschen, wenn wir nicht im Grunde genommen gerne Teilen und vor allem Mitteilen. Darum lade ich dich ein, meine Sicht der Dinge und Situationen, der Auswirkungen und der Möglichkeiten, zu teilen.
Geboren nach 1900, in einer Zeit, in der in Europa nichts wirklich «sicher» war. Viele Geschichten von Familien, die in den Kriegen auseinandergerissen wurden. Tod, Unsicherheit, Ausweglosigkeit, Wirtschaftskrisen, Hunger und immer wieder Verlust, prägte diese Frauen. Viele wurden bitter oder böse. Sie entwickelten Überlebens Strategien, denn wir werden geboren, um zu Leben. Die Körper der Frauen wurden für die Produktion der nächsten Generation genutzt, selten mit Genuss und Freude, öfter einfach aus eigener Neugier, oder weil es halt so war.
Meine Mutter, geboren 1925, war eine uneheliche und vaterlose Tochter. «Vaterlos» erklärte mir die hilfsbereite Dame beim Kirchenamt folgendermassen: «Damals gab es viele uneheliche Kinder. Damit eine Frau nicht einfach eine Vaterschaft einklagen konnte, mussten zwei Männer die Vaterschaft bezeugen, dies schriftlich auf dem Amt und zum Schutz der Männer und deren Familien. Darum hatte ihre Mutter keinen Vater Eintrag in ihrer Geburtsurkunde». Ein «Makel», den die Gesellschaft - vor allem die Kirchen - immer wieder betonten. Bis in meine Generation, denn auch meine Mutter wurde zu einer Zeit geschieden, in der es noch nicht «Salonfähig» war, 1962.
Sie wuchs bei ihren Grosseltern auf einem Bauernhof in Österreich auf, in Kärnten. Immer wieder erzählte meine Mutter Geschichten, die zum Teil nachweislich erlogen waren, aber diese klärten sich erst nach vielen Jahrzehnten auf. Die Frauen, und da war meine österreichische Mutter keine Ausnahme, flohen aus ihrem Land, meist zu Bekannten oder Verwandten ausserhalb. Natürlich hatten viele Frauen extreme Erfahrungen in ihren jeweiligen Ursprungsländern gemacht und waren froh, nach dem Krieg in die Schweiz zu kommen, nicht selten ins Gastgewerbe. So auch meine Mutter.
Sie war die Tochter einer Kriegsmutter, einer Frau, die sehr hart sein konnte, nach den Aussagen meiner Mutter. Grossmutter, geboren 1902, wurde ebenfalls jung Mutter einer Tochter, und so sollte es bleiben, keine weiteren Geschwister. Während der Kriegsjahre bis 1945 und danach bis zu ihrem Tod, war meine Grossmutter Besitzerin eines Restaurants in Klagenfurt, Österreich. Grossmutter und meine eigene Mutter hatten kein enges emotionales Verhältnis. Meine Mutter wuchs also bei ihrer Grossmutter auf, mit welcher sie gemischte Gefühle verband. Aber, sie liebte ihren Grossvater abgöttisch.Und da beginnt die «Verwirrgeschichte» meiner Mutter, die sich auf mich und meine drei Geschwister übertrug, denn, obwohl die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, hat sie unser Leben massiver mitbeeinflusst als ich lange wahrgenommen hatte.
Ich wurde sehr früh zur Coabhängen Tochter einer nicht diagnostizierten Borderline Mutter. Vielleicht durfte ich es nicht wahrhaben, denn sonst hätte ich wahrscheinlich alle Hoffnung verloren. Damals, als Kind unter 10 Jahren, verstand ich nicht was genau lief, heute schon. Damals als Kind, erschreckte mich ihr «Zuckerbrot und Peitsche» Verhalten immer wieder. Gepaart war es mit Zeiten der «Harmonie», gefolgt von Zeiten des Abgrundes mit Beschuldigungen. Meine Mutter nutzte ihre Sexualität, um Männer anzuziehen. Fremdgehen war ihr in den «guten Jahren» anscheinend ein Bedürfnis aber gleichzeitig wollte sie auch einen Mann an ihrer Seite, für die Sicherheit. Ich nehme an, Du kennst selbst auch solche Geschichten in deiner Familie, denn es waren nicht wirklich die 68ziger, die das erfanden, nur lebten es die Generationen vor ihnen nicht so offensichtlich aus.