Die Geschichte beginnt,  0 - 9 Jahre

Die Geschichte beginnt, 0 - 9 Jahre

Ein unvollständiger, roter Faden durch meiner Kindheit. Coabhängigkeit und komplizierte Umstände.  Eine dunkle Zeit, von 0 – 4 Jahre, aus dieser Abschnitt habe ich nur schemenhafte Erinnerungen. Zum Beispiel: Ein Mann hält mich an seiner Hand. Es ist dunkel und kalt draussen. Er nimmt mich mit auf die Strasse, dort sehe ich ein «grosses» Rad, wahrscheinlich sein Auto und ich habe Angst, aber ich muss mit.

Eine andere Erinnerung sind die Leuchtziffern einer Armbanduhr. Ich lag im Wohnzimmer, jemand kam und bewegte sich durch den Raum Ich stellte mich schlafen und beobachtete das grüne Licht, den Menschen konnte ich nicht erkennen.  Ein paar Jahre später konnte ich nicht in der Dunkelheit liegen, ohne mich bis über die Nase unters Deckbett zu verkriechen. Ich hörte nachts das Holz der Treppe arbeiten und stellte mich «tot», indem ich so flach wie möglich Atmete. Ein starker Gedanke aus dieser Zeit war: «wenn ich ganz ruhig bin und nicht laut Atme, dann hört er mich nicht». Kinder haben eine einfache Logik.

Als ich zwei Jahre alt wurde, kam meine Schwester zur Welt. Ich hatte dunkle Haare, wie mein Vater, sie hatte strohblondes Haar, wie ihr Vater.  Und noch immer spielten die drei, meine Mutter, mein Vater und mein Stiefvater ihr verwirrtes Spiel. Mein Vater erzählte mir einmal: «weißt Du, als Du zur Welt kamst und ich dich zum ersten Mal sah, war ich nicht ganz sicher, ob Du meine Tochter bist. Aber als deine Schwester zur Welt kam, war ich sicher, dass sie nicht von mir ist». Mein biologischer Vater wurde von den beiden für dumm verkauft und erst als die Trennung  unausweichlich wurde, realisierte er das ganze Ausmass. Zu diesem Zeitpunkt stellte er neue Weichen und ich war 4 Jahre alt. Er liebte, oder war so abhängig von meiner Mutter, dass er bereit war, uns beide als seine Töchter anzunehmen. Bedingung war jedoch, dass wir zurück in die Berge gingen.  Mein Stiefvater machte das Rennen und liess seinen einzigen und besten Freund ziehen.

Kurz vor dem Tod meines Stiefvaters sagte mein biologischer Vater einmal: «Es tut mir leid, das mit deiner Mutter, aber er und ich waren einmal Freunde, das ist schon lange her. Zeit vergeht und ich würde mich gerne mit ihm auf einen Kaffee treffen, richte es ihm doch bitte aus».

Das tat ich und die Reaktion war alles andere als ich erwartet hätte. Da sitzen wir am Tisch, mein Stiefvater schon schwer krank. Er und meine Mutter hatten fast dieselben Krankheiten entwickelt. Erst sie und dann er. Beide hatten schwache Herzen und bekamen schwer Luft, um es einfach auszudrücken. Aber alleine dies spricht Bände. Mein Stiefvater war definitiv Co Abhängig, wenn nicht gar emotional Abhängig von meiner Mutter. Er hatte kein eigenes Leben und als ich ihm als Teenager, nach einem Krach, einmal sagte: «Ich würde mich scheiden lassen, wenn ich Du wäre», war seine Antwort: «Und was würdet ihr dann machen ohne mich?» Wir waren also der Grund, warum er sie nicht verlassen konnte. Das war mir irgendwie damals suspekt, aber hörte und fühlte sich natürlich besser an, dass er für uns da sein wollte.

 Zurück zum Tisch und der Einladung meines Vaters zum Kaffee. Mein Stiefvater schnappte hörbar nach Luft, riss die Augen auf und sagte: »auf keinen Fall!!!!! Er drohte uns damals, dass er uns, sollte er uns noch einmal über den Weg laufen, umbringen würde!!»..  Ich war zuerst platt. Was war das? 40 Jahre später? Und ein weiterer, spontaner Gedanke war: Warum hast Du solche Angst, du stirbst sowieso bald. Hart, ich weiss, aber ehrlich. Und er erzählte mir, dass mein Vater die Faust erhoben hätte, als er unten an der Treppe stand und ihnen diese Drohung mit solcher Wucht entgegenschmetterte, dass es für ihn kein Missverständnis gab, er würde das tun, wann auch immer. Diese Ansage hatte meine Mutter und meinen Stiefvater bis zu ihrem Tod gejagt. Was Worte, vor allem verletzte Gefühle alles anstellen können, zeigt diese Geschichte ganz deutlich. Wir vergessen nicht, solange, bis wir frieden damit geschlossen haben. 

Meine Mutter und mein Stiefvater waren heilfroh, dass er sich damals in die Berge verzog und verdrängten diese Erinnerung bis am besagten Tag, am bekannten Esstisch in den vier Wänden, die schon so viel gehört hatten.

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